31.03.2014

Fristlose Kündigung wegen Bagatellbeträgen - ja oder nein?

In den vergangenen Monaten hatten sich die Arbeitsgerichte mehrfach mit fristlosen Kündigungen langjähriger Arbeitnehmer zu beschäftigen gehabt, bei denen objektiv betrachtet äußerst geringfügige Werte zur Kündigung geführt hatten. Es besteht somit eine gewisse Unsicherheit auf beiden Seiten, wann eine solche Kündigung wirksam sein kann.
Nachfolgende Ausführungen stellen keine Wertung dar, vielmehr wollen wir Ihnen den Stand der Rechtsprechung hierzu aufzeigen.

Eine (Grundsatz-)Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2010 getroffen. Darin wurde die ständige Rechtsprechung bestätigt, dass an einen für eine fristlose Kündigung erforderlichen Vertrauensverlust hohe Anforderungen und Hürden zu setzen sind (BAG vom 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – „Pfandbon“).

Beiden Parteien muss es schlichtweg unmöglich sein, das Arbeitsverhältnis weiterhin aufrecht zu erhalten. Es ist erstens zu überprüfen, ob der angegebene Grund an sich einen „wichtigen Grund“ darstellen könne. In einem zweiten Schritt ist zu überprüfen, ob im konkreten Fall unter Abwägung der Interessen beider Seiten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht doch zuzumuten ist.
So sind „an sich geeignete“ Gründe für eine Kündigung, rechtswidrige und vorsätzliche Handlungen, welche sich unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers richten. Dies sogar dann, wenn die rechtswidrige Handlung nur einen geringen Wert betrifft oder sogar zu gar keinem Schaden auf Seiten des Arbeitgebers führt. Denn dadurch wird das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers unwiederbringlich erschüttert.

In der Gesamtwürdigung der Umstände, ist aber zu berücksichtigen: das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen.
Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab.

So wurde dann auch die Kündigung der Arbeitnehmerin im „Pfandbon“-Fall als unwirksam angesehen. Der einmalige Vorfall konnte das über drei Jahrzehnte ungetrübte Verhältnis der Vertragsparteien nicht so vollständig zerstören, dass es eine fristlose Kündigung hätte nach sich ziehen müssen.

Diesen Vorgaben entsprechend hat das LAG Hamm (Urteil vom 4.11.2010 – Az.: 8 Sa 711/10) entschieden, dass einem langjährigen Mitarbeiter in einem gastronomischen Betrieb nicht fristlos gekündigt werden kann, wenn dieser einige Pommes frites und zwei Frikadellen verzehrt. Das Verhalten des Arbeitnehmers habe nicht so stark in das Vertrauensverhältnis eingegriffen, so dass vor einer außerordentlichen Kündigung eine Abmahnung hätte erteilt werden müssen.

Das ArbG Berlin (Urteil vom 29.09.2010 – Az.: 1 Ca 5421/10) jedoch hat eine fristlose Kündigung eines seit 17 Jahren beschäftigten Angestellten wegen des Verdachts des Pfandbonmissbrauchs für wirksam angesehen.
Der Mitarbeiter hatte manuell Pfandbons erstellt, ohne dass dem ein tatsächlicher Kassiervorgang gegenüber gestanden hätte, und später das entsprechende Geld an sich genommen. Ohne von der Rechtsprechung des BAG abzuweichen, hat das Gericht die Kündigung als wirksam erachtet, da hier der Mitarbeiter die Pfandbons extra erstellt hat, um sich später mit dem auszuzahlenden Geld zu bereichern. In dem durch das BAG entschiedenen Fall waren die Bons vor der Verwertung an Kunden berechtigterweise ausgegeben worden. Allein die Einlösung war durch die Arbeitnehmerin erfolgt.
Das Arbeitsgericht Berlin hat darauf abgestellt, dass der Angestellte nicht durch die Einlösung, sondern durch die Erstellung der Pfandbons das Vertrauen des Arbeitgebers zerstört hat. In der Interessenabwägung seien zwar die 17 Jahre Beschäftigungszeit zu berücksichtigen gewesen. Jedoch habe maßgeblich gegen den Arbeitnehmer gesprochen, dass er als Verkäufer mit Kassiertätigkeit im originären Kernbereich seiner Tätigkeit gehandelt habe. Auch der relativ geringe Schadensbetrag könne dann nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden.

Für die Praxis bedeutet dies:

Arbeitnehmer sollten sich, auch wenn es sich um noch so geringe Beträge handelt, nicht dazu hinreißen lassen, Vermögenswerte des Arbeitgebers für sich zu vereinnahmen. Je nach Ausgestaltung des Arbeitsvertrages und dem konkreten Aufgabengebiet des Arbeitnehmers kann eine fristlose Kündigung dann wirksam sein. Das siebte Gebot gilt auch im Arbeitsrecht!

Demgegenüber sollten sich Arbeitgeber vor einer fristlosen Kündigung vor Augen führen, ob das bestehende Vertrauen durch eine einmalige Schwäche des Arbeitnehmers wirklich so stark beeinträchtigt ist, dass nicht einmal die Abmahnung dazu geeignet sein kann, den Arbeitnehmer weiter zu pflichtgemäßem Verhalten zu bewegen.