12.03.2014

Bundesgerichtshof zu den Folgen eines Rotlichtverstoßes für die Vollkaskoversicherung

Nach § 61 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) ist der Versicherer von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsnehmer den Versicherungsfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Danach erhält er in der Vollkaskoversicherung den Schaden an seinem Fahrzeug nicht ersetzt, wenn er das Rotlicht einer Ampel nicht beachtet hat und sein Verhalten als grob fahrlässig zu bewerten ist. Unter welchen Umständen ein Rotlichtverstoß als grob fahrlässig anzusehen ist, wird von den Gerichten sehr unterschiedlich beurteilt.

Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat in folgendem Fall grobe Fahrlässigkeit verneint (Urteil vom 11. Mai 2001, veröffentlicht in r+s 2001, 313): Der Versicherungsnehmer hatte vor einer Kreuzung auf der linken Geradeausspur als erstes Fahrzeug vor einer roten Ampel angehalten. In einem neben ihm auf der Linksabbiegespur stehenden Fahrzeug erkannte er einen Arbeitskollegen und grüßte ihn. Nachdem er wieder nach vorn geschaut hatte, fuhr er trotz Rotlichts in die Kreuzung ein, weil er aufgrund einer Fehlverarbeitung eines in seinem Blickfeld befindlichen optischen Signals überzeugt war, die Ampel habe für ihn soeben auf Grünlicht umgeschaltet. Bei einem solchen Sachverhalt, so meint das Oberlandesgericht, sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere nach dem Urteil vom 8. Juli 1992 (IV ZR 223/91 - BGHZ 119, 147 = VersR 1992, 1085 = NJW 1992, 2418), zwar grobe Fahrlässigkeit anzunehmen. Dieser Rechtsprechung sei aber nicht zu folgen. Es widerspreche dem Zweck der Kaskoversicherung, von einem objektiv groben Verkehrsverstoß regelhaft und ohne weiteres auf ein auch subjektiv unentschuldbares Fehlverhalten zu schließen. Damit verschiebe der Bundesgerichtshof entgegen der Regelung in § 61 VVG auch die Beweislast zu Ungunsten des Versicherungsnehmers.

Der Bundesgerichtshof hat die vom Oberlandesgericht zugelassene Revision des Kaskoversicherers zurückgewiesen. Das Berufungsurteil ist bei zutreffendem Verständnis der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Aus dem Urteil vom 8. Juli 1992 lässt sich kein Grundsatz ableiten, nach dem die Missachtung des roten Ampellichts stets grob fahrlässig ist. Das hängt vielmehr von den Umständen des jeweiligen Falles ab. Diese festzustellen und zu bewerten, ist Sache der tatrichterlichen Würdigung. So kann es, wie die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zeigt, an den Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit etwa dann fehlen, wenn die Ampel nur schwer zu erkennen oder verdeckt ist, oder bei besonders schwierigen, insbesondere überraschend eintretenden Verkehrssituationen. Eine Beurteilung als nicht grob fahrlässig kann auch in Betracht kommen, wenn der Fahrer zunächst bei Rotlicht angehalten und dann in dem irrigen Glauben angefahren ist, die Ampel habe auf Grünlicht umgeschaltet. Es ist allerdings Sache des Versicherungsnehmers, im Einzelnen darzulegen, wie es zu dem Verkehrsverstoß gekommen ist, weil nur er und nicht der Versicherer die Umstände kennt. Dieser Darlegungslast ist allerdings nicht schon mit einem bloßen Hinweis auf ein Augenblickversagen genügt. An der Beweislast des Versicherers, auch für die subjektiven Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit, ändert das nichts.

Urteil vom 29. Januar 2003 - IV ZR 173/01